PHILOSOPHIE

Gewiss, jeder Fliegenfischer verspürt diese immer wieder kehrende Aufregung, wenn man an einem neuen Gewässer steht. Die Neugier, was für Erlebnisse dieser anbrechende Tag an einem unbekannten Bach, Fluss oder See bringen wird. Das geht natürlich auch mir so.

Absolut unvergleichlich ist für mich jedoch das Gefühl, an einem sehr vertrauten Gewässer mit der Fliegenrute entlang zu wandern und mir zahllose Gedanken durch den Kopf geistern: Der Tag, an dem ich vor Jahren behutsam junge Forellen am Oberlauf in die Freiheit entließ. Meine Wünsche und Sorgen, die jene Kleinfische begleitet haben auf dem Weg in ihren ersten Unterstand – ihre ersten Flossenschläge in noch ungewohntem Umfeld. Würden Sie auch bei Niedrigwasser eine Zuflucht finden und überleben? Werden Sie den Angriffen von Kormoranen und anderen Fischliebhabern oft genug entgehen? Werden Sie genug Nahrung finden, wachsen und sich Ihr Revier suchen?

Mirjana Pavlic beim Fliegenfischen

Unvergleichlich ist an diesen Gewässern für mich deswegen auch die Dankbarkeit, die mich erfüllt, wenn ich sie wiedersehe: Mit sanften Flossenschlägen unter dem überhängenden Busch auf Nahrung wartend. Im Strömungsschatten eines Steines nur auf den zweiten Blick erkennbar. Oder auch erst am Ende meiner Schnur, wenn sie einer meiner Nymphen nicht widerstehen konnten und ich sie aus den Tiefen eines Gumpens ans Tageslicht führe.

Es ist tiefe Dankbarkeit für dieses Privileg, sich als Teil dieser intakten Umwelt fühlen dürfen. Dankbarkeit entsprungen aus dem Wissen, durch aufwändige Gewässerpflege und verantwortungsvollen Besatz etwas gegeben zu haben und an den Abläufen der Natur teilhaben zu dürfen – und die Möglichkeit, andere ebenfalls teilhaben zu lassen.
An solch einem Gewässer, dessen Geschicke man selbst mitbestimmt hat, für das man Verantwortung übernimmt und dessen Wohlergehen einem eng am Herzen liegt, bekommt das Fliegenfischen für mich eine andere Dimension: In dem Bewusstsein, regelmäßig etwas zu geben, fühlt sich für mich das Nehmen richtiger und fairer an. Das Gesamterlebnis wird auf eine bestimmte Weise vollkommener. Und hinter jedem Fisch, den man fängt, steckt eine eigene Geschichte – vom Moment des Besatzes in dem ursprünglichen Gewässer über sein Aufwachsen umgeben von intakter Natur und natürlicher Nahrung bis zum Tag, an dem er vielleicht am Ende der Schnur das i-Tüpfelchen eines unvergesslichen Fliegenfischertages sein wird.